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1696,66 Kilometer durch den Norden Mexikos, davon 387,05 im Renntempo durch felsige Schluchten und hoch auf Canyon-Plateaus: Der sternförmig von der Metropole Chihuahua ausgerichtete Express für historische und moderne Wettbewerbsfahrzeuge forderte seinen Tribut:
Nur elf Wagen kamen durch - zehn Oldies und ein BMW M2 von 2018.
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Dieser Vorgeschmack auf die berühmte "Carrera Panamericana" zählt auch zur "Silver State Classic Challenge", einer international ausgeschriebenen Serie, initiiert durch den Kanadier Steve Waldman. Die "Asuciación Corse Caminos Aol", Präsident und gleichzeitig Organisations-Leiter Prof. Manuel Medina, kurz "Chacho", richtet diese Veranstaltung nach bis ins letzte Detail festgelegten Regularien aus.
Chihuahua: Hinter diesem Zungenbrecher verbirgt sich die malerische Hauptstadt des gleichnamigen Bundesstaates, 1450 Kilometer nordwestlich von Mexico-City. Hier hatte während der französischen Besetzung Mitte des 19. Jahrhunderts der damalige mexikanische Präsident Benito Juárez seine Zuflucht gefunden. Zuflucht für die Express-Teilnehmer, darunter auch der französische Vorjahressieger Hilaire Damiron, mit seiner brasilianischen Frau Laura ein "Dreamteam", ist das Sheraton-Nobel-Hotel Soberano. Hier finden die Fahrerbesprechungen durch "Chacho" und den Carrera-Direktor Sr. Carlos Cordero, die gründliche technische Abnahme unter besonderen Fahrzeug-Sicherheitsaspekten und der medizinische Check durch Dr. Victor Galván statt. Leider gab es im Vorfeld einige Absagen, daran waren eine Hochzeit und das "Secretaria de Turismo de Chihuahua" Schuld. Um das touristisch attraktive Plateau des Copper-Canyons vor der samstäglichen Ankunft - zugleich Wendepunkt - zu verschonen, musste die Rallye um einen Tag vorverschoben werden - leider auf den letzten Drücker. So konnten einige Teams ihre Anreise nicht mehr umbuchen. Dann sagte auch noch Karlo Flores, mit einem Ford GT40 gemeldet, ab, weil er sich um den Neubau einer Schokoladen-Fabrik kümmern musste. Und auch das "Sahnehäubchen" fehlte: Die Schwester des mexikanischen Tourenwagen-Champions Benito Guerra heiratete und damit waren ihr Vater und dessen Freunde, allesamt Express-Kandidaten, "out of range".
Prolog mit Autobahn-Gebühr
In drei Wertungsgruppen - getrennt nach Saugern und modernen Turbos - ging es zunächst auf einen Prolog, der zweimal zu durchfahren war. Die jeweilige Rückführung ging über die gebührenpflichtige Autobahn nach Ciudad de Juárez. Wehe, wer von den Nicht-Mexikanern keine Landeswährung dabei hatte! Auf einem Teilstück der Carrera der 50er-Jahre musste 13 Kilometer lang Gas gegeben werden. Mit einem Schnitt von 164,7 km/h untermauerte Hilaire Damion seine Favoritenrolle. Schließlich bringt sein Studebaker Commander, Baujahr 1954, gut 630(!) PS auf den Asphalt. Da dieser Kraftprotz 330 Stundenkilometer erreichen kann, wurde seine Vmax auf den Sonderprüfungen mit einem 250 km/h-Limit belegt. Von den jüngeren Fahrzeugen konnten nur Daniel Marchand und sein Sohn Humberto überzeugen. Ihr BMW M2 landete auf dem zweiten Platz.
Dritter des ersten Tages von Chihuahua nach Ciudad Madera und zurück über 591,38 Kilometer, davon 127,77 mit "vollem Rohr" über Serpentinen, war der bullige 57er Oldsmobile von Doug Mockett. Diese Wagen-Fahrer-Kombination hat bereits Geschichte geschrieben: bei dem "Chihuahua Express" der "Carrera Panamericana" und sogar beim legendären "Pikes Peak"-Bergrennen. Was mit der automobilen Ikone am letzten Tag passierte, schilderte Dougs wesentlich jüngerer Beifahrer Manuel Iguiniz: "Mit viel zu viel Speed rasten wir in einer leichten Rechtskurve auf eine Brücke zu. Als Doug merkte, sich vertan zu haben, latschte er mit aller Wucht auf das Bremspedal. Es reichte leider nicht." Der Oldsmobile krachte gegen eine kleine Begrenzungsmauer, stellte sich senkrecht auf und stürzte kopfüber sieben Meter runter ins ausgetrocknete Bachbett. Wie durch ein Wunder blieb Inguiniz unverletzt, während sich Doug das Schlüsselbein und einen Arm brach. Das Rote Kreuz-Fahrzeug war sofort zur Stelle. Sogar eine mobile Intensiv-Station fuhr bei der Rallye mit. Noch im Krankenhaus scherzte Doug: "War wohl zu schnell!" Dann beschäftigte ihn, wie man aus dem schrecklichen Schrotthaufen wieder diese rot-gelbe Ikone hervorzaubern könne.
Unter den Fittichen von Matthias Heyer
Für den Express einen Ford Falcon und eine Woche Urlaub hatten die in Belgien lebende Bettina Ehrensberger und ihr belgischer Coach Freddy J. Marx bei Matthias Heyer gebucht. Freddy, als Fußballer seinerzeit in der Jugend-Nationalmannschaft Belgiens bester Linksaußen, Rennfahrer, Instruktor, Gastronom, Sommelier, Event-Manager und Graphiker in Personal-Union, begleitet Bettina als Coach bei ihren motorsportlichen Aktivitäten, sogar bei einem abenteuerlichen Rennen in Senegal. Da Bettinas Vater nach Mexiko ausgewandert ist, kennt sie natürlich Land und Leute und spricht Spanisch. Hatten sich die beiden noch am Volant abgelöst, so stellte sich bald heraus, dass sie mit dem Roadbook in der Hand präziser agieren kann, er andererseits als Fahrer mehr Potential mitbringt. Doch zunächst gab der 8-Zylinder im Falcon ein verdächtiges Geräusch von sich. Matthias, David Gonzalez als technisch versierter Teamleader und Tonio Jiminez als Mann für alle Fälle, nahmen das Triebwerk auseinander und mussten feststellen, dass einer der von Ford Sport extra für den Express gelieferten Ventil-Stößel falsch bearbeitet worden war. Einen Motor über Nacht auseinander zu nehmen und wieder zusammen zu setzen, ist für Heyers "Euro Latino Racing Services" kein Problem, doch mussten noch Teile besorgt werden.
Nash-Notizen und Nationalgarde
Mit der Erkenntnis, nicht eine Minute zu früh an die Zeitkontrollen kommen zu dürfen, musste Bettina Ehrensberger am Ende des zweiten Tages acht Mal 15 Strafsekunden verdauen. Ähnliches geschah auch mit Dennis Varni aus den USA und seinen kanadischen Co-Piloten Scott Hawley. Die beiden waren mit einem Nash Ambassador 2-Door aus dem Jahre 1949 angetreten. Im Inneren des Nash fielen neben antiquierten Armaturen der spitze und nicht gerade ungefährliche Lenksäulen-Knauf sowie die Avus-Lenkradhülle auf. Mehrmals musste der Nash mit Bordmitteln wieder fahrtüchtig gemacht werden. Das Aus kam glücklicherweise erst nach der letzten Sonderprüfung, als Varni einen "Speadbreaker" auf der Straße übersehen hatte. Auf diese künstlichen Bodenwellen - selbst auf mexikanischen Autobahnen - zu Drosselung der Geschwindigkeit weisen Verkehrsschilder hin. Diesen schenkt man ansonsten kaum Beachtung. Nachts bei Rot über eine Kreuzung? Warum nicht, wenn kein "Gegner" kommt und die Polizei nicht in der Nähe ist? Der Nash landete unsanft und wartete mit gebrochenem Fahrwerk auf Abholung. Diese bot Matthias Heyer, der samt einem leeren Hänger des Weges kam, an. Das lehnte die Nash-Besatzung ab, wohl zu stolz, sich von einem "German" zum Fahrerlager vor dem Hotel transportieren zu lassen. Schließlich war der Nash am Wendepunkt des Barranca del Cobre - dem Kupfer-Canyon, mit 1600 Metern tiefer und einer Gesamtfläche von 65.000 Quadratkilometern größer als der Grand Canyon - von der bewaffneten Nationalgarde besonders bewacht worden.
Strahlendes Siegerpaar
Hilaire Damion verriet, dass sein Studebaker Commander schon mit 337 km/h gestoppt worden ist. Grund genug für "Chacho", auf den geraden Verbindungs-Stücken durch die Wüste mit Pylonen und Trennbändern Schikanen installieren zu lassen. Davon erfuhr aber die omnipräsente Polizei, die in einer Gegend, die selbst Skorpionen und Klapperschlangen unwirtlich erscheint, Posten aufgestellt hatte, zu spät. So kamen dann bis zum Finale nur zwei Schikanen zustande. Laura, geborene de Freitas, hatte natürlich ihren eigenen Aufschrieb und kennt wohl jede Kurve. Schon den vorangegangenen "Chihuahua Express" hatte das französisch-brasilianische Ehepaar mit derzeitigem Wohnsitz in Mexico-City souverän gewonnen. Laura: "Auf den Speed-Etappen sind wir ganz brav geblieben - nie mehr als 246 km/h." Lalo Henkel, BMW-Händler mit großer Express-Erfahrung, der vor zehn Jahren einmal einen Mehrfach-Salto über eine Kuppe geschlagen hatte, und sein Co, der in Ehren ergraute Sergio Puente, belegten mit einem M2 von 2018 den zweiten Platz. Mit theatralischen Gesten auf dem Siegerpodest feierten die US-Boys Rowdy McClenan und Staffort Galen, Chevrolet Chevelle, ihren dritten Gesamtrang vor vier mexikanischen Paarungen, darunter auch zwei Studebaker-Champion-Crews. Mit dem achten Platz der Gesamtwertung und dem zweiten in ihrer Klasse, 34 Minuten vor einem Ford Mustang, empfahlen sich Bettina Ehrensberger und Freddy Marx bei Matthias Heyer für die "Carrera Panamericana". Freddy: "Und danach veranstalte ich einen Fahrerlehrgang im Schnee Lapplands."
Text und Fotos: Jochen von Osterroth; Facebook: klick hier zur Chihuahua-Rallye: Facebook